Birgits Kaffeetasse

Gemaltes, Kaffee und Sonstiges

Wahnsinnige Liebe

Es wird erzählt, dass alle Gefühle und Qualitäten des Menschen ein Treffen hatten.

Als die Langeweile zum dritten Mal gähnte, schlug der Wahnsinn wie immer gewitzt vor:
„Lasst uns verstecken spielen“

Die Intrige hob die Augenbraue
und die Neugierde konnte sich nicht mehr zurückhalten und fragte:“ Verstecken, was ist das?“

„Das ist ein Spiel“ sagte der Wahnsinn
„Ich verdecke mein Gesicht und fange an zu zählen,
von 1 bis 1 Million. Inzwischen versteckt Ihr Euch.
Wenn ich das Zählen beendet habe, wird der Letzte von Euch den ich finde meinen Platz einnehmen, um das Spiel fort zu setzen.“

Die Begeisterung und die Euphorie tanzten vor Freude.
Die Freude machte so viele Sprünge, dass sie den letzten Schritt tat, um den Zweifel zu überzeugen, und sogar die Gleichgültigkeit,
die sonst an nichts Interesse zeigte, machte mit.

Aber nicht alle wollten mitmachen:
Die Wahrheit bevorzugte es sich nicht zu verstecken, wozu auch?
Zum Schluss würde man sie immer entdecken!
Der Stolz meinte, dass es ein dummes Spiel wäre, (im Grunde ärgerte er sich nur, das die Idee nicht von ihm kam)
und die Feigheit zog es vor, nichts zu riskieren.

„eins, zwei, drei,…“der Wahnsinn begann zu zählen.

Als Erstes versteckte sich die Trägheit,
die sich wie immer hinter den ersten Stein fallen ließ.
Der Glaube stieg zum Himmel empor und die Eifersucht versteckte sich im Schatten des Triumphes,
der es aus eigener Kraft geschafft hatte, bis zur höchsten Baumkrone zu gelangen.

Die Großzügigkeit schaffte es kaum, sich selber zu verstecken, da sie bei allen Verstecken die sie fand glaubte,
ein wunderbares Versteck für einen ihrer Freunde gefunden zu haben.

Ein kristallklarer See – ein wunderbares Versteck für die Schönheit.
Eine dunkle Höhle – ein perfektes Versteck für die Angst.
Der Flug eines Schmetterlings – das Beste für die Wollust.
Ein Windstoß – großartig für die Freiheit,
so versteckte die Großzügigkeit sich selbst auf einem Sonnenstrahl.

Der Egoismus dagegen fand von Anfang an einen sehr guten Ort,
luftig und gemütlich – aber nur für ihn.

Die Lüge verstecke sich auf dem Meeresgrund
(stimmt nicht, in Wirklichkeit versteckte sie sich hinter dem Regenbogen).
Die Leidenschaft und das Verlangen im Zentrum der Vulkane.
Die Vergesslichkeit – ich habe vergessen, wo sie sich versteckte, aber das ist auch nicht so wichtig.

Als der Wahnsinn „999 999“ zählte, hatte die Liebe noch kein Versteck gefunden.
Alle Plätze schienen besetzt zu sein, – bis sie den Rosenstrauch entdeckte und gerührt beschloss sich in der Blüte zu verstecken.

„Eine Million“, rief der Wahnsinn und begann zu suchen.

Die erste, die entdeckt wurde, war die Trägheit, nur drei Schritte vom ersten Stein entfernt.
Danach hörte man den Glauben, der im Himmel mit Gott über Theologie diskutierte.
Das Verlangen und die Leidenschaft, hörte man im Vulkan vibrieren.
In einem unachtsamen Moment fand der Wahnsinn die Eifersucht und so natürlich auch den Triumph.

Den Egoismus brauchte er gar nicht zu suchen, ganz allein kam er aus seinem Versteck heraus,
das sich als Bienennest entpuppt hatte.
Vom vielen Laufen bekam er Durst und als er sich dem See näherte, entdeckte er die Schönheit.

Mit dem Zweifel war es noch einfacher, ihn entdeckte er auf einem Zaun sitzend,
weil dieser sich nicht entscheiden konnte, auf welcher Seite er sich verstecken sollte.

So fand er einen nach dem anderen,
das Talent im frischen Gras
und die Angst in einer dunklen Höhle.

Nur die Liebe tauchte nirgendwo auf.
Der Wahnsinn suchte sie überall. Auf jedem Baum, in jedem Bach dieses Planeten, auf jedem Berg
und als er schon aufgeben wollte, erblickte er die Rosen.
Mit einem Stöckchen fing er an die Zweige zu bewegen, bis ein schmerzlicher Schrei aufkam.

Die Dornen hatte der Liebe die Augen ausgestochen. Der Wahnsinn war hilflos und wusste nicht,
wie er seine Tat wieder gutmachen konnte.

Er fing an zu weinen und entschuldigte sich.
Er versprach Ihr, für immer Ihr Blindenführer zu sein.
Seither ist die Liebe blind und der Wahnsinn immer ihr Begleiter…

~

©by Peter Markus

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3 Kommentare

  1. Peter 12. Mai 2018

    Vielleicht kommt Dir ja eine anderer Geschichte bekannt vor und Du erkennst Zusammenhänge? 🙂

    Die Finsternis des Lichtes

    Zu einer Zeit als die Zeit noch zeitlos war und der Mensch die Langeweile der Sterne noch nicht störte, berieten sich die Sterne wieder einmal, wahrscheinlich zum 5 Millionsten Male, was sie gegen ihre Langeweile denn tun könnten.
    „Las uns doch ein Sternenbild malen, schöner wie es niemals zuvor am Nachthimmel stand“ sprach die Venus.
    „Ja, eine tolle Idee“ rief da Pegasus aus dem fernen Andromedanebel.
    Die Sonne, leicht erzürnt, dass ausgerechnet Venus, einer ihrer Untertanen und gar kein richtig Stern, diesen Vorschlag einbrachte, ergriff das Wort „Wir werden uns den schönsten Stern unseres Universums aussuchen und nach ihm unsere Welt neu malen“ sprach sie. Alle waren beigeistert und leuchteten vor Freude heller als je zuvor und danach. So begaben sie sich Millionen von Jahren auf die Suche nach diesem der allerschönsten Sterne. Ermüdet, fast schon wieder in Langeweile verfallend, sahen sie plötzlich einen wunderschönen winzig kleinen Stern tief im Verborgenen des Universums. Sein Licht war warm, von seltenem Glanz, Grazie und Anmut schienen das Bild seiner Güte und Herzlichkeit zu vervollkommnen.
    „Dürfen wir Dich malen“ fragte die Sonne den kleinen gütigen Winzling „Du sollst es auch nicht umsonst tun, 1000 Sterntaler seien Dir gewiss“ leuchtete sie ihn an. “Natürlich, für euch bin ich doch hierher gekommen“ klang es warmherzig und demütig zugleich aus dem schier vollkommenen inneren des Winzlings.

    Eifrig, voller Freude und alles herum um sich vergessend, malten die Sterne, sie malten und malten abermals über Millionen Jahre hinweg. Und so entstand ein Bild, schöner es niemals zuvor im Universum zu sehen war, wie von Gottes Hand geschaffen …

    Zufrieden mit sich und ihrem Werk sprach Pegasus „ nun müssen wir ihm auch einen Namen geben“. Wieder meldete sich die vorlaute Venus zu Wort und sagte „nennen wir es doch LIEBE“. Für einen Moment war es so still im Universum, dass man nicht einmal die rotierenden Geräusche der Saturnringe hören konnte. Ja schrien alle, wie aus einem Munde „LIEBE“ ist ein wunderschöner Name dafür. Selbst die Sonne wagte sich dieser Gewalt nicht zu widersetzen, sagte nur „na gut“, gab dem Winzling die versprochenen 1000 Sterntaler und ließ ihn weiter durchs Universum ziehen.

    Weitere Millionen Jahre vergingen, die Langeweile war längst schon wieder ständige Begleiter der Sterne als plötzlich die Dunkelheit zu den Sternen sprach „möchtet ihr nicht wieder ein Bild malen“. „Wieso“ sprach die vorlaute Venus, „wir haben doch die Liebe was brauchen wir mehr“. „Das mag wohl sein“ entgegnete die Dunkelheit, „aber warum malt ihr nicht mal ein Bild für mich, düsterer, finsterer und schrecklicher als es das Universum jemals sah“. Die Venus versteckte sich hinter der Sonne und wollte davon nichts hören, Pegasus verschwand ganz schnell im Andromedanebel, selbst der Sonne – noch mit der zitternden Venus beschäftigt – verschlug es zuerst die Sprache. Aber in den folgenden Millionen Jahren riefen immer mehr Sterne aus der Dunkelheit „Bitte, lasst uns doch diese Bild malen“. Alles Rütteln Zupfen und Bitten der Venus nutzte nichts, die Sonne gab dem Drängen nach sprach mit monotoner, leiser Stimme, mehr gleichgültig, ja fast ein wenig ängstlich „Na gut, dann lasst uns auf die Suche gehen nach diesem dunklen Stern der uns als Vorlage dienen möge. Die Begeisterung wirkte dieses mal gedämpfter und das Licht der Sterne schien zu verblassen, dennoch machten sich alle – die Venus natürlich nur aufmüpfig – auf die Suche. Dieses mal brauchte man nicht sehr lange bis man einen kleinen schwarzen Zwerg fand der den Anforderungen zu entsprechen schien. Obwohl er so klein, so finster und so böse war, sowenig Licht ausstrahlte dass sogar die Dunkelheit Angst vor ihm bekam, konnte man ihn nicht übersehen.
    Alles jammern der Venus half nichts, also sprach die Sonne ihn an:
    “ Dürfen wir Dich malen“ fragte die Sonne den kleinen schwarzen Zwerg, „Du sollst es auch nicht umsonst tun, 100 Sternentaler seien Dir gewiss“ sprach sie und schien blass wie nie zuvor “Natürlich, für euch bin ich doch hierher gekommen“ quäkte es mit bitterer kalter und zynischer Stimme aus der Dunkelheit des Zwerges.

    Fast lustlos und ein wenig träge gingen die Sterne an Ihr trauriges Werk, dennoch war es in nur wenigen Millionen Jahren vollendet.

    Das Bild war so finster, so grauenhaft, böse und schien so niederträchtig, dass sogar die Dunkelheit sich in der Finsternis versteckte. Pegasus kehrte nicht mehr hinter den Andromedanebeln hervor, die Venus ergoss erst sich selbst in Tränen, bevor Ihre Tränen langsam begannen das Licht der Sonne zu löschen.

    „Ich werde dieses Bild HASS nennen“ sagte die sterbende Sonne und gab dem schwarzen Zwerg seine 100 Sternentaler.

    Im Weitergehen drehte sich der schwarze Zwerg um, eine Träne schien in seinen Augen, als er zur Sonne sagte:

    „Weißt Du noch, damals vor vielen, vielen Millionen Jahren gabst Du mir 1000 Sternentaler“

  2. Peter 12. Mai 2018

    Ach ja, um en Haar hätte ich es vergessen – ©by Peter Markus (geb. Scheurich) 😀

  3. Peter 18. Mai 2018

    Das ist eigentlich meine Lieblingsgeschichte:

    Langsam zerfloss die Sonne hinter den Bergen, bereit ihr Zepter der Nacht zu übergeben. Die Luft war klar und kalt wie der frostige Atem des zwölften Mondes, den er schon zahlreiche Jahre spürte und wohl nie in seinem Leben lieben würde.
    Dennoch – heute war ein besonderer Tag. Hell wie noch nie zuvor erleuchtete dieser Stern, von dem die alten Schriften erzählten, neben der Sichel des zwölften Mondes.
    Diesem Stern müsse er folgen, wenige Schritte seien es nur, und sein Leben sei ein neues, schöner er es sich jemals vorstellen könne – das Paradies.
So jedenfalls hatten es ihn die Alten gelehrt, denen es wiederum so von den Ältesten des Dorfes gelehrt worden war.
Seine kostbarsten Kleider hatte er für diesen Tag gut behütet aufbewahrt, schließlich wollte er wie ein Edelmann und nicht wie ein Bettler ins gelobte Land, das Paradies, eintreten.
    Elegant sah er aus, sein schwarzer Anzug schien in der Dämmerung wie Silber zu schimmern und das weiße Hemd stand an Helligkeit dem Stern kaum nach. Ein letztes großes Mahl hatte er sich in seiner wohlig warmen Hütte zubereitet, schließlich konnte man nicht wissen, vielleicht war der Weg doch länger und beschwerlicher als es die alten Schriften erzählten. Satt und zufrieden saß er nun da, trank noch ein Glas Wein, um so auf die Nacht zu warten, welche ihm die Botschaft für seinen Weg bereithalten sollte.
    War es nur der Wind oder war es doch nur ein leises Jammern, was er da hinter seiner Türe zu hören glaubte? Plötzlich schien es so, als würde etwas an seiner Tür kratzen. Er hatte sich also nicht getäuscht, da war jemand.
    Hastig schritt er zur Tür und öffnete diese mit einem Ruck, fast wäre er über das Bündel gefallen, welches da vor seiner Tür lag.
    Was ist dies nur für ein erbärmliches Männlein, dachte er beim Anblick des Häufchen Elends auf dem Boden.
    Aus einem Gesicht mit sonnenverbrannten Falten und aufgeplatzter Haut voller Blasen starrten ihn zwei leere ausdruckslose, leblose Augen an. Weiße Lippen, auf denen getrockneter Speichel klebte, versuchten mühevoll nahezu unverständliche Worte hervorzupressen.
Farbloses, ausgeblichenes Haar stand ihm wirr und starr vom Kopf wie Stroh.
    Seine Kleidung mochte ihm in vergangenen Zeiten einmal gepasst haben, nun aber war ihm der Anzug viel zu groß, die Schöße hingen ihm bis auf die Fersen. Der Stoff war schäbig geworden und zerfiel an vielen Stellen. Sein verschmutztes Hemd, welches ansatzweise erahnen ließ, dass es einmal ein elegantes weißes Kleid gewesen sein könnte, war ihm aus der Hose gerutscht, denn auch diese war viel zu weit, so dass er fast darin versank.
An einem Fuß hingen noch Fetzen eines Lackschuhes, dessen Sohle sich löste, der andere Fuß war mit einem schmutzigen, von Blut und Sekret durchnässten Tuch umwickelt.
    Das rechte Ärmchen des alten Mannes streckte sich ihm, etwas ganz fest mit der Hand umklammernd, soweit man diese noch so bezeichnen konnte, entgegen.
    Kaum hörbar stammelte der Alte „Nehmt dies und folget dem Licht des Sternes, man erwartet euch schon“. Mit seinem letzten Atemzug öffnete sich die Hand des sterbenden Alten und brachte so etwas wie ein Korn zum Vorschein – im hellen Licht des Sternes schimmerte es wie Gold.
    „Dies muss die Botschaft sein“ dachte er, schnappte sich das Korn, lies den Alten ohne eine Regung des Mitgefühls liegen und begab sich auf den Weg zu diesem hellen Licht, welches nur wenige Schritte vor ihm zu liegen schien.
    Die jungen Beine des noch unverbrauchten Körpers trugen ihn so rasch ein gutes Stück des Weges, dass es eine Weile dauerte, bis er sich entschloss, sein Nachtlager aufzubauen, um sich für den Marsch am nächsten Tag ein wenig zu erholen.
    Als in der Frühe des folgenden Morgens die ersten Sonnenstrahlen sein Antlitz berührten und er noch schlaftrunken langsam die Augen öffnete, erhoben sich vor ihm kahle Wände, fern und dunstig am Horizont – rundum nichts als Sand, Hügel an Hügel, schier endlos in alle Richtungen.
Erst als sich seine Augen langsam an das grelle Sonnenlicht gewöhnt hatten, erkannte er schemenhaft die Silhouette einer Frau. Sie war wohl mittleren Alters, klein, rundlich, aus ihrem makellosen Gesicht leuchteten ihn warmherzig zwei große Sterne – oder waren es doch Augen – an.
„Wer seid ihr“ fragte er sie.
„Ich bin die Liebe“ entgegnete sie ihm und fügte noch mit sanfter Stimme hinzu: „Man hat mich geschickt, euch durch die Sanddünen zu begleiten.“
„Was sind dies für Sanddünen, wo kommen sie her, sie waren doch, als ich mich auf mein Nachtlager begab, noch nicht da“, fragte er sie mit ein wenig Sorge in der Stimme.
„Sie waren schon immer da, unverändert und unveränderlich, mal sieht man sie, mal sieht man sie nicht, so ist das eben mit den Dünen des Hasses“, schien sie ihn belehren zu wollen.
„Aber machet euch keine Gedanken, dazu bin ich doch hier, euch sicher durch die Dünen des Hasses zu führen, folget mir einfach und ihr werdet sicher euer Ziel erreichen“, schloss sie und begann langsam in die Dünen hineinzulaufen.
Nicht gerade begeistert und angetan von diesem bevorstehenden Marsch folgte der dennoch der rundlichen Frau.
So marschierten sie beide Tag um Tag, während die Frau ihm fast ununterbrochen ihre schier nie enden wollenden Geschichten der vielen wunderbaren Begegnungen erzählte. Gelangweilt hörte er ihr zu, manchmal kam ihm ein „Ach so“ oder Ach ja“ über die Lippen, ansonsten schwieg er und versuchte nur so schnell wie möglich ans Ziel zu kommen.
Je länger sie marschierten, desto älter kam ihm die Frau vor, Wärme und Güte, so vermeinte er jedenfalls, schienen aus ihrem Gesicht gewichen, auch konnte sie ihm kaum noch folgen, immer häufiger mussten sie eine Pause einlegen, weil die Beine der Alten nicht mehr wollten.
„Nun beeile sie sich doch ein wenig, stelle sie sich nicht so an und höre sie auf zu jammern“ raunzte er sie fortwährend herablassend an.
„Wir schaffen das schon beide, wenn ihr nur ein wenig langsamer macht und mich ab und an stützt“, entgegnete sie ihm mit nach wie vor gütiger und sanfter Stimme.
    „Mit euch werde ich nie ans Ziel kommen, ihr stört nur, ihr lästige alte Vettel, wärt ihr mir doch nur nie über den Weg gelaufen, der Teufel muss euch geschickt haben“, fauchte er sie an.
„Bleibe sie doch einfach wo der Pfeffer wächst“, fügte er noch hinzu, bevor er hastigen Schrittes der Alten enteilte und sie ohne auch nur einmal zurückzuschauen ihrem Schicksal überließ.
    So eilte er eine weitere Weile allein durch die Dünen, die weißglühende Sonne im Zenit machte ihm den Weg immer beschwerlicher, seine Haare schienen von der Sonne verbrannt und der einst silberne Schimmer seines Anzugs war längst dem Schmutz und Staub gewichen – wahrlich kein Anzug eines Edelmannes mehr.
    So entschloss er sich nach einer weiteren Weile erneut ein Nachtlager aufzuschlagen, denn seine Beine gehorchten ihm kaum noch und er fühlte sich lange nicht mehr so jung und ausgeruht wie einst.
    Als habe er eine halbe Ewigkeit geschlafen, kam es ihm vor, als er am nächsten Morgen aufwachte. Ein kalter Wind hatte ihn aus dem Schlaf geholt, von der glühend heißen Sonne war weit und breit nichts zu sehen. Den Zenit konnte man allenfalls erahnen. Nichts als Bäume weit und breit, dunkel und schier endlos in den Himmel ragend, umgaben ihn. Bäume, Bäume und nochmals Bäume – ein finsterer Wald ohne Anfang und Ende.
    Vor ihm näherte sich ein Reitersmann, hoch oben auf einem edlen Ross sitzend, in Gewändern goldbeflockt aus Samt und Seide. Dieser lächelte ihn an. Aus seiner Tasche, prall gefüllt mit Waren, wie sie nur ein Fürst oder gar König mit sich führte, holte er einen Beutel mit Wasser und reichte sie mit den Worten:“ Trinkt mein Freund, trink so viel ihr möchtet, ihr müsst euch stärken für den Weg der vor euch liegt“.
    „Wer ist er, und was ist dies für ein Wald, überhaupt, was soll das, man sagte mir doch, es wären nur ein paar Schritte“ jammerte er mehr als dass er den Fürsten wirklich fragte.
„Ich bin die Genügsamkeit und werde euch durch den Wald der Habgier führen, damit ihr sicher euer Ziel erreicht“
„Aha“ entgegnete er dem Fürsten, „ich hatte schon einmal so eine Hilfe, sie war mir nur ein Klotz am Bein und fiel mir zusehends zur Last, verrotten soll sie, da wo sie jetzt ist, ich hoffe er ist eher zu etwas zu gebrauchen, schließlich habe ich einen Auftrag zu erfüllen“, klang es bissig aus seinem Munde.
„Gemach mein Freund, mit meiner Hilfe werdet ihr euren Auftrag würdevoll erfüllen, vertrauet mir nur“ versuchte der Fürst den sichtlich Aufgebrachten zu beruhigen.
„Bleibt immer dicht an meiner Seite und wir sind aus dem Wald der Habgier ehe ihr euch verseht“, gab er ihm noch mit auf den Weg.
So begaben sich beide auf den Pfad durch den Wald, der Fürst auf seinem Pferd und er zu Fuß dicht neben ihm.
    So verstrich abermals geraume Zeit.
Sein Anzug hatte schon viele Risse und Löcher durch Gestrüpp, Äste und Stacheln, die sich ihnen immer wieder in den Weg stellten, und auch die Schuhe begannen, sich an den Sohlen allmählich aufzulösen. Sein Gesicht war mittlerweile von Falten gezeichnet und als ihn die Beine nicht mehr tragen wollten, jammerte und greinte er wie ein Kind: „Was ist er für eine Hilfe, sitzt hoch oben zu Rosse, während ich endlos neben ihm herlaufen muss. Meint er, so kommen wir jemals ans Ziel?“
    „Mein Freund, daran soll unsere Reise nicht scheitern“ lächelte der Fürst, die Genügsamkeit ihn gütig an, stieg von seinem Pferd herab und hob den greinenden Weggefährten auf das Ross.
„Ja, so hat es seine Richtigkeit“ entgegnete dieser dem Fürsten ohne ein Wort des Dankes.
    Mit jedem Schritt den sie durch den Wald liefen schien der Fürst zu altern, sein Gang wurde beschwerlich und immer langsamer.
    „Stelle er sich nicht so an und bewege sich etwas schneller, so ist er mir wahrlich keine Hilfe“ raunzte er den immer schwächer werdenden Fürsten an.
    „Vielleicht sollten wir für ein kurzes Stück des Weges tauschen, damit ich mich ein wenig erholen kann“ schlug der Fürst vor.
    „Wer ist er, mir einen solch Vorschlag zu unterbreiten, ich bin es schließlich der hier sein Ziel erreichen muss, und überhaupt, was will er mit all diesen Reichtümern in seiner Tasche, mir stehen diese viel besser zu Gesicht, ja sie gehören mir, er durfte sie nur für mich aufbewahren“ schrie er den Fürsten an, gab dem Pferd die Sporen und verschwand in der Tiefe des Waldes, den Fürsten seinem Schicksal überlassend, ohne auch nur ein einziges Mal zurückzuschauen.
    Er ritt schneller, immer schneller, bis das Pferd unter ihm tot zusammenbrach. Erschöpft von dem langen Ritt lehnte er sich an einen Baum und fiel alsbald in einen tiefen Schlaf.
    Irgendetwas stimmt hier nicht, bemerkte er beim Aufwachen sofort, noch bevor sich seine Augen öffneten.
Was ist das für ein Plätschern, wieso ist meine Kleidung so klamm, dachte er, und schlug langsam seine Augen auf. Wasser, nichts als Wasser so weit er sehen konnte, ein unendliches Meer von Horizont zu Horizont umgab ihn.
Ein altes dünnes, sehr langes Holzboot, das jeden Augenblick auseinanderzubrechen drohte, war sein einziger Schutz gegen Wasser und Wellen. Am anderen Ende des Bootes saß ein uraltes hässliches Weib, der Wind wehte ihr das schlohweiße dünne Haar ins faltenübersäte Gesicht. So hässlich sie auch war, so streng ihre Gesichtszüge schienen, strahlte sie doch etwas Aufrechtes und Ehrliches aus.
    „Wer ist sie, wo sind wir, wo kommt das viele Wasser her“ schrie er das alte Weib an, als sei sie taub.
    „Wir befinden uns im Meer der Lügen, aber ihr habt nichts zu befürchten, ich bin die Wahrheit und werde euch unversehrt und trockenen Fußes zu eurem Ziel führen“, versuchte sie ihr aufgebrachtes Mündel zu beruhigen.
„Ich bin schon sehr, sehr alt und habe seit Menschengedenken auf diesem Meer gelebt. Nichts, absolut nichts an diesem Meer ist mir verborgen. Glaubet an mich, sehet mich als eure Mutter an und ich werde euch so wie einen geliebten Sohn vor den Stürmen des Meeres beschützen“.
    „Warum sollte ich einem alten hässlichen Weib, das sich kaum noch auf den Beinen halten kann, glauben“ lachte er die Alte höhnisch an.
„Ich hatte auf meinem langen Weg wahrlich stattlichere Hilfen als Euch zerbrechliches Weib, und was haben sie mir gebracht? Nichts! Sage mir, warum also sollte ich ausgerechnet ihr glauben schenken“, kam es krächzend es aus seinen verkrusteten Lippen inmitten eines zornverzerrten Gesichtes hervor.
    „Weil ich die Wahrheit bin.“
Diese Worte kamen so ruhig und gelassen über ihre Lippen, wie sie nur einem alten, weisen Menschen gegeben sind.
    „Hach“ entgegnete er ihr, „am besten verschwinde sie dahin wo sie hergekommen ist, bevor ich sie im Meer ertränken muss.“
Die Alte aber blieb stumm und freundlich lächelnd, so als hätte sie seine Worte gar nicht gehört, am anderen Ende des Bootes sitzen und genoss sichtlich die leichte Brise, welche das Meer kräuselte.
So trieb das Boot eine ganze Weile über das Meer. Von der Alten kaum Notiz nehmend, ließ er sich müde und erschöpft in dem Boot treiben.
    Das Meer wurde mit jedem Augenblick unruhiger, aus dem sich fein kräuselnden Wasser wurden haushohe Wellen. Bedrohlich und beängstigend spielte das Meer mit der Nussschale, die jeden Moment auseinander zu brechen drohte.
Unbeeindruckt vom Ganzen, fast als lebe sie in einer anderen Welt, ihrer Traumwelt, genoss die Alte schweigend, mit einem Lächeln im Gesicht, die Meeresgischt, währenddessen ihr Mündel verzweifelt gegen die Gewalten der Natur ankämpfte.
Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis das alte Boot zerbersten und seine Insassen dem Meer übergeben würde, als just wie aus dem Nichts ein alter Fischkutter – jedenfalls schien es ihm als wäre es ein solcher – vor ihnen auftauchte.
    Ein Mann, mit gestähltem Körper, wie eine Eiche im Sturm stehend, rief aus der Ferne mit lauter tiefer Stimme: „Bleibt ruhig, damit das Boot nicht zerbricht, ich eile zur Hilfe, gleich bin ich bei Euch.“
    „Beeile er sich, die Zeit drängt“ presste der Erschöpfte mühevoll aus seinem geschwächten Körper hervor.
    Kurze Zeit später lagen der Fischkutter und das, was von dem alten Boot noch übrig war, backbord an steuerbord nebeneinander.
    „Nun beeile er sich schon und hole uns hier raus“ herrschte er den Fischer mit schwacher Stimme, aber in einem dennoch klaren Befehlston an.
    „Das ist nicht so einfach“, erwiderte der Fischer, „mein Boot kann nur eine Person aufnehmen, wie ich aber sehe, seid Ihr zu zweit.“
    „Ach die Alte ist doch schon fast tot, das war sie schon, als ich sie in meiner grenzenlosen Güte aufnahm, es ist nicht der Mühe wert dieses leblose Bündel Nichts zu retten, also hole er mich auf sein Schiff und überlasse die Alte dem Meer“, rief sein dünnes Stimmchen zum Schiff hinüber.
    „Schwerlich weiß ich eine Entscheidung zu treffen“ ließ sich der Fischer nicht beirren.
„Einer von euch beiden muss die Wahrheit sein, einzig sie gilt es zu retten.“
    „Hach“ presste er über seine Lippen, bevor er in schrillem Ton zu lachen begann. „Schau mich doch an, ICH bin die Wahrheit, ohne die Lügen der Alten wäre ich nie in diese missliche Lage geraten, sie hat es nicht anders verdient als vom Meer verschlungen zu werden, mich, die Wahrheit muss er retten, schließlich habe ich einen wichtigen Auftrag zu erfüllen, von dem Wohl und Weh der Menschheit abhängt.
    Es wechselten noch einige Worte, bevor der Fischer sich auf den Handel einließ und ihn, um die vermeintliche Wahrheit zu retten, auf sein Schiff nahm.
    Die Alte in ihrem Boot verschwand im Schlunde des Meeres, ohne dass auch nur die geringste Notiz von ihr genommen wurde – so als hätte es sie nie gegeben.
    „Ich habe Hunger und Durst, warum reicht er mir nichts, mich zu laben“ kam es fordernd ohne ein Wort des Dankes für die Hilfe aus dem Mund des Geretteten.
    „Unter Deck ist alles was Ihr braucht, bedient euch“ gab ihm der Fischer zur Antwort.
    So begab er sich unter Deck, trank und aß so viel und so lange, bis er vor Erschöpfung in einen tiefen und festen Schlaf versank.
    Wie eine Lampe mit bläulich emailliertem Blechschirm stand die Sonne über ihm, bereit seine letzte Kraft auszusaugen, als er seine Augen öffnete.
    Es musste wohl eine sehr lange Zeit vergangen sein, dachte er sich beim Anblick seiner verschrumpelten Hände. Der einst elegante Anzug, dessen Fetzen an seinem ausgemergelten Körper herabhingen, mochte ihm in vergangenen Zeiten einmal gepasst haben, nun aber war er ihm viel zu groß, die Schöße hingen ihm bis auf die Fersen. Der Stoff war schäbig geworden und zerfiel an vielen Stellen. Das Hemd war ihm aus der Hose gerutscht, denn auch die war zu weit, und er musste sie ständig hinaufziehen.
    So stand er da, inmitten eines unendlichen Tales aus Steinen, nichts als Steine und abermals Steine. Überall turmhoch aufgehäufte Steine in allen erdenklichen Größen und Formen, ihre Grellheit tötete alle Farben, sie ließ nur weiße Flächen und schwarze Schatten übrig. Das Skelett des widerspiegelnden Sonnenlichtes, blendend, unerträglich, mörderisch, der böse Glanz glühender Magma.
    Die bizarr-bedrohlichen Steintürme schienen ein Bild in die atemlose Luft zu projizieren – oder war es real, war es Wirklichkeit, was er da zu sehen glaubte?
    Vor ihm tat sich eine übergroße Gestalt auf, eine wunderschöne junge Frau, so schön, wie er noch nie eine Frau zuvor gesehen hatte oder sich zumindest nicht erinnern konnte.
Feenhaft in langem weißen Gewand von seltenem Glanz, mit Grazie, Anmut und langem blonden Engelshaar stand sie da, und ihr warmherziger Blick spiegelte ihm eine perfekte Fata Morgana vor.
    „Was hat mir der Fischer nur in den Wein getan“ dachte er laut, „Sie gibt es doch gar nicht“ redete er weiter vor sich hin.
    „Doch mein Freund, ich bin keiner eurer Träume, mich gibt es wirklich“, begann sie ruhig und behutsam zu reden.
„Ihr seid fast an eurem Ziel angekommen, nur noch wenige Schritte bis dahin, und ich, der Frieden, werde euch auf eurer letzten Wegstrecke begleiten, es liegt nur noch das Tal der Gewalt vor euch. Wenn ihr diese Steine hinter euch gelassen habt, seid ihr am Ziel.“
„ Ihr erinnerst euch doch noch an euer Ziel“, fragte sie ein wenig besorgt.
    „Ja, ja, mein Ziel, das Paradies wie es die Gelehrten heißen, ich habe es nie aus den Augen verloren, dennoch scheint es mir weiter entfernt als je zuvor.“
    „Nein mein Freund, ihr habt es fast erreicht und die letzten Meter dorthin dürft ihr meiner Hilfe gewiss sein“, versuchte das feenhafte Wesen den sichtlich Aufgebrachten zu beruhigen.
    „Ha, Ha, Ha, Ihr habt mich alle belogen und betrogen, mein Leben habt Ihr mir gestohlen. Die Liebe, die Genügsamkeit, die Wahrheit und wie sie alle hießen, nichts haben sie für mich getan, nur aufgehalten haben sie mich. Nein, nein und nochmals NEIN, Ihr seid keine Hilfe und sie erst recht nicht, glaube sie ja nicht, dass ich mich durch ihre Schönheit blenden lasse. Verschwindet, lasse sie mir meine Ruhe, sonst …“
    „Sonst was?“ fragte das friedliche Wesen mit ängstlicher Stimme.
    „Sonst wird sie schon sehen was sie davon hat“, schrie er sie, so laut sein schwacher Körper noch konnte, an, nahm den erst besten Stein und erschlug das Wesen, welches vorgab der Frieden zu sein.
    Plötzlich, von Blitzen und lautem Donner begleitet, begannen sich die Steine zu pulverisieren, die Luft wurde klar und rein, wenn auch ein wenig kühl.
    Nachdem alle Steine verschwunden waren, tat sich direkt vor ihm eine hell erleuchtete Hütte auf, über ihr noch heller leuchtend ein Stern – der Stern dem er schon so lange folgte und den er zeitweilig gänzlich aus den Augen verloren glaubte.
    „Ja, Ja, Ja“, dachte er, „ich bin am Ziel angekommen – endlich!“
„Hätte ich nur gleich am Anfang die Liebe erschlagen, was wäre mir alles erspart geblieben, ich wäre schon lange am Ziel, vor allem noch jung und gesund und nicht so schwach wie jetzt“, sinnierte er vor sich hin.
„Egal, die letzten Schritte schaffe ich auch noch“, dachte er und begann seinen alten schwachen Körper über den Sand der pulverisierten Steine zur Hütte zu schleppen.
    „Hallo, hier bin ich, mache doch jemand die Türe auf“, jammerte er, an der Hütte angekommen, kaum hörbar vor sich hin und begann zugleich mit seinen dürren Händchen an der Tür zu kratzen – zum Klopfen reichte seine Kraft nicht mehr.
    Ein junger Mann in einem eleganten, schwarzen, silbrig schimmernden Anzug öffnete ihm die Tür. Sein Blick verriet, dass dieser Edelmann schon lange auf etwas oder irgendjemanden wartete.
    Er streckte dem Edelmann sein rechtes dünnes Ärmchen entgegen, das Korn welches er einst erhalten hatte, fest in seinem Greisenhändchen umklammernd.
    Kaum hörbar stammelte der Alte: „Nehmt dies und folget dem Licht des Sternes. Man erwartet euch schon.“
    Hernach schloss er für immer seine Augen …

    © by SchVVarzer Peter (Peter Markus, geb. Scheurich) im Dezember 2009

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